»Frauenkaserne« (Tereska Torrès, 1950)
Der Anti-Kanon – literarische Meisterwerke aus der untersten Schublade
In den Regalen meiner Eltern befanden sich zwischen antiken Zoologie-Büchern, Goethe-Gesamtausgaben und Psycho-Ratgebern immer wieder auch jene besonders interessant aussehenden zerfledderten Taschenbücher mit reißerischen Titeln wie »The Happy Hooker«, oder eben auch Tereska Torrès‘»Frauenkaserne«. (Gibt es einen Fetisch für den säuerlichen Geruch vergilbter Buchseiten? Wenn nein, dann habe ich ihn wohl erfunden.) Der Inhalt von Xaviera Hollanders »The Happy Hooker« blieb mir auf dem damaligen Stand meiner Englischkenntnisse noch weitgehend im Dunkeln (was jedoch den Reiz keineswegs minderte und durchaus genug Raum ließ für fantasievolle Eigeninterpretationen). »Frauenkaserne« hingegen fand ich in einer deutschen Übersetzung von 1960. Wie schlecht diese tatsächlich war, lässt sich nun anhand der Neuerscheinung im Louisoder Verlag (Tereska Torrès: »Frauenkaserne«, übersetzt von Inka Marter, Louisoder Verlag 2015, 336 Seiten, 16,90 Euro) im direkten Vergleich überprüfen. Einige Merkwürdigkeiten fielen mir schon damals auf (»Ich habe großen Ehrgeiz für Sie« … Hä?), aber irgendwie hatte das Holprige auch seinen Charme.
Ohnehin interessierten mich andere Dinge als sprachliche Feinheiten. Immerhin stellte »Frauenkaserne« eine meiner ersten Begegnungen mit lesbischem Sex dar! Was im Nachhinein vielleicht merkwürdig erscheint – aber offensichtlich waren die 1980er Jahre in der badischen Provinz ungefähr gleichzusetzen mit den 1950er Jahren in den USA. Dort wurde das Buch kurz nach seinem Erscheinen beinahe wegen pornografischer Inhalte verboten. Aber eben nur beinahe. Und vermutlich trug gerade dieses Fast-Verbot entscheidend dazu bei, das Buch erst recht zum Bestseller zu machen. Wobei auch dieser Hype heute eher possierlich wirkt. Sind doch die – tatsächlich nicht mal allzu zahlreichen – Sexszenen (egal ob hetero- oder homosexueller Natur) aus heutiger Sicht beinahe anrührend prüde und verschwurbelt erzählt.
Die Krone der »Queen of Lesbian Pulp« wollte sich Torrès (1920 – 2012) jedenfalls nie aufsetzen lassen – auch wenn sie diese zweifelsohne verdient hätte. Vielmehr wollte sie ihren Roman als authentische und ernstzunehmende Kriegsberichterstattung verstanden wissen – was er zumindest in Teilen ja auch ist.
Hier also endlich der Plot: »Frauenkaserne« ist im Prinzip eine fiktionalisierte Version von Torrès‘ Aufzeichnungen aus dem Zweiten Weltkrieg. 1940 tritt sie in die Frauensektion der Freien Französischen Streitkräfte in London ein. Die 19-Jährige führt seit Jahren Tagebuch und hat bereits einen ersten Roman fertiggestellt. So notiert sie auch während der Kriegswirren akribisch ihre Erlebnisse: den nervenzerrüttenden Exilalltag und das angespannte Warten auf die Invasion der Alliierten. Diese Passagen sind ganz wunderbar, und es tut mir aufrichtig leid, dass ich sie mit 12 einfach überblättert habe. Dafür habe ich die Neuübersetzung nun umso gewissenhafter studiert. Was aber natürlich wirklich interessiert – und nicht nur mich als Teenie, sondern ebenso das Zielpublikum in den 1950er Jahren – ist all das, was während des zermürbenden Wartens in den Köpfen und Körpern der heimwehkranken Frauen vorgeht. Oder, wie es der mahnende und zugleich sensationslüsterne Klappentext der Erstausgabe zusammenfasst: Was passiert, »wann immer Frauen ohne normales Ventil für ihre Gefühle zusammenleben müssen«.
Ja, man kann es sich lebhaft vorstellen. Das nächtliche Donnern der Flugzeugabwehrgeschütze und das ständig Brummen der Kampfbomber setzen ungeahnte Energien frei.
Die lebensfrohe Mickey angelt sich einen Offizier nach dem anderen (die meisten von ihnen natürlich verheiratet). Die kapriziöse Claude indes verführt die gerade mal 16-jährige Ursula. Und zwischen der als ungewöhnlich maskulin (also als waschechte Lesbe) beschriebenen Adjutantin Petit und der ebenfalls ziemlich androgynen Offiziersanwärterin Ann entspinnen sich wüste Eifersuchtsdramen.
Unehelicher Sex, wohin man schaut. Verführung Minderjähriger. Eine inzestuöse Ménage-à-trois. Und dann auch noch überall Lesben! Kein Wunder, dass das Buch 1952 beinahe auf den Index kam.
Was ich mit 12 allerdings noch nicht wusste: Ursprünglich war das Buch noch viel skandalöser. Oder sagen wir: aufrichtiger. Weniger moralisierend. Doch dieses Originalmanuskript ist längst verschollen. Was wir in den Händen halten, ist eine Überblendung verschiedener Überarbeitungen, ein Stimmengewirr, das ein bisschen an eine 70 Jahre lang andauernde Runde »Stille Post« erinnert (wie übrigens die diversen Vor- und Nachwörter zur Neuausgabe sehr schön darlegen).
Es war Torrès‘ zweiter Ehemann, der das Romanmanuskript mit in die USA nahm und dort auf eigene Faust ins Englische übersetzte. Im nächsten Schritt fügte er auf Druck des Verlegers hin wertende Kommentare ein, die aus der Erzählerin eine »moralische Instanz« machen sollten.
Das ist einerseits schade, lädt andererseits aber auch zu der spannenden Detektivarbeit ein, die zahlreichen in diesem Buch zusammenlaufenden Fäden im Nachhinein wieder aufzudröseln. Liest man Sätze wie »Aber ich spürte, dass Claude in der Tiefe ihres Wesens vage bereute, Ursula in ein Laster eingeweiht zu haben, für das das Mädchen keine echte natürliche Anlage hatte«, ist offensichtlich, dass hier nicht die Erzählerin spricht, sondern die Moralvorstellung jener Zeit. Kurios sind auch die leicht absurden, damals aber gängigen Definitionen von »echten« (maskulinen) und »unechten« (femininen) Lesben – eine Einteilung, die mich mit 12 sowohl verstörte als auch faszinierte. Während Ann und Petit im besten Fall als »amüsante Absonderlichkeiten« bezeichnet werden, zieht der Roman für die gleichgeschlechtlichen Beziehungen der »unechten« Lesben mehr oder weniger plausible Erklärungen an den Haaren herbei – mit Vorliebe so etwas wie »verirrter Mutterinstinkt«. Und als »normales« Gegenbeispiel zu diesen »seltsamen, traurigen Verirrungen« wird Jacquelines andauernde Obsession für einen Kommandeur angeführt – der natürlich verheiratet ist und sie nach einer einzigen gemeinsamen Nacht schwanger sitzen lässt. Hm … Dass das nicht so ganz aufgeht, war mir irgendwie auch schon mit 12 klar.
Die restlichen Verstörungsmomente konnte ich in späteren Jahren dank meines Studiums (Gender Studies und Queer Theory) umfassend aufarbeiten.
Bemerkenswert ist jedenfalls, dass all die nachträglich eingefügten Erklärungs- und Abwertungsversuche von Phänomenen, die dem Übersetzer und dem Herausgeber offensichtlich wenig geheuer waren, ziemlich hilflos wirken und letztendlich an sich selbst scheitern. Vielleicht habe ich dieses Scheitern schon mit 12 gespürt. Und konnte mich auch deshalb damit abfinden, dass die »unechten« (femininen) Lesben am Ende zu heterosexuellen Beziehungen bekehrt und die »echten« (maskulinen) Lesben zu einem Leben in Einsamkeit verdammt werden mussten.
So blieb die moralische Message gewahrt, das Buch konnte ungehindert das Licht der Öffentlichkeit erblicken – und ich hatte meinen Spaß.
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